Interpreten: Peter Schöne - Bariton | Holger Berndsen - Klavier

Aufnahme: Freitag, 26. August 2016 | Würzburg

Liedtext

Mit erstorbnem Scheinen
Steht der Mond auf todtenstillen Hainen,
Seufzend [streicht{Schubert (Alte Gesamtausgabe): "streift"}] der Nachtgeist durch die Luft -
Nebelwolken [schauern{Schubert: "trauern"}],
Sterne trauern
Bleich herab, wie Lampen in der Gruft.
Gleich Gespenstern, stumm und hohl und hager,
Zieht in schwarzem Todtenpompe dort
Ein Gewimmel nach dem Leichenlager
Unterm Schauerflor der Grabnacht fort. 

Zitternd an der Krücke
Wer mit düsterm, rückgesunknem Blicke,
Ausgegossen in ein heulend Ach,
Schwer geneckt vom eisernen Geschicke,
Schwankt dem stummgetragnen Sarge nach?
Floß es »Vater« von des Jünglings Lippe?
Nasse Schauer schauern fürchterlich
Durch sein gramgeschmolzenes Gerippe,
Seine Silberhaare bäumen sich. -

Aufgerissen seine Feuerwunde!
Durch die Seele Höllenschmerz!
»Vater« floß es von des Jünglings Munde,
»Sohn« gelispelt hat das Vaterherz.
Eiskalt, eiskalt liegt er hier im Tuche,
Und dein Traum so golden einst, so süß!
Süß und golden, Vater, dir zum Fluche!
Eiskalt, eiskalt liegt er hier im Tuche,
Deine Wonne und dein Paradies!

Mild, wie, umweht von Elysiumslüften,
Wie, aus Auroras Umarmung geschlüpft,
Himmlisch umgürtet mit rosigten Düften,
Florens Sohn über das Blumenfeld hüpft,
Flog er einher auf den lachenden Wiesen,
Nachgespiegelt von silberner Fluth,
Wollustflammen entsprühten den Küssen,
Jagten die Mädchen in liebende Gluth.

Muthig sprang er im Gewühle der Menschen,
Wie [auf Gebirgen{Schubert: -}] ein jugendlich Reh;
Himmelum flog er in schweifenden Wünschen,
Hoch wie [die{Schubert: "der"}] Adler in wolkigter Höh;
Stolz wie die Rosse sich sträuben und schäumen,
Werfen im Sturme die [Mähnen{Schubert: "Mähne"}] umher,
Königlich wider den Zügel sich bäumen
Trat er vor Sklaven und Fürsten daher.

Heiter, wie Frühlingstag, schwand ihm das Leben,
Floh ihm vorüber in Hesperus' Glanz,
Klagen ertränkt' er im Golde der Reben,
Schmerzen verhüpft' er im wirbelnden Tanz.
Welten schliefen im herrlichen Jungen,
Ha! wenn er einsten zum Manne gereift -
Freue dich, Vater - im herrlichen Jungen
Wenn einst die schlafenden Keime gereift!

Nein doch, Vater - Horch! die Kirchhofthüre brauset,
Und die ehrnen Angel klirren auf -
Wie's hinein ins Grabgewölbe grauset! -
Nein doch, laß den Thränen ihren Lauf!
Geh, du Holder, geh im [Pfad{Schubert: "Pfade"}] der Sonne
Freudig weiter der Vollendung zu,
Lösche nun den [edeln{Schubert: "edlen"}] Durst nach Wonne,
Gramentbundner, in Walhallas Ruh!

[Wiedersehen{Schubert: "Wiedersehn"}] - himmlischer Gedanke! -
[Wiedersehen{Schubert: "Wiedersehn"}] dort an Edens Thor!
Horch! der Sarg versinkt mit dumpfigem Geschwanke,
Wimmernd schnurrt das Todtenseil empor!
Da wir trunken um einander rollten,
Lippen schwiegen, und das Auge sprach -
Haltet! haltet! - da wir boshaft grollten -
Aber Thränen stürzten wärmer nach - - 

Mit erstorbnem Scheinen
Steht der Mond auf todtenstillen Hainen,
Seufzend [streicht{Schubert (Alte Gesamtausgabe): "streift"}] der Nachtgeist durch die Luft.
Nebelwolken [schauern{Schubert: "trauern"}],
Sterne trauern
Bleich herab, wie Lampen in der Gruft.
Dumpfig schollert's überm Sarg zum Hügel -
O um Erdballs Schätze nur noch einen Blick! -
Starr und ewig schließt des Grabes Riegel,
Dumpfer - dumpfer schollert's überm Sarg zum Hügel,
Nimmer gibt das Grab zurück.

Friedrich von Schiller
Ölgemälde ca. 1794 Ludovike Simanowiz
Wikimedia.org - Public domain

Zum Text

Schiller verfasste sein Gedicht im Jahr 1780.
Der Originaltitel lautet: Eine Leichenfantasie. 1780. (in Musik zu haben beim Herausgeber.)

Der Veröffentlichung, die eine irreführende Information über den Verleger enthält (Gedrukt in der Buchdrukerei zu Tobolsko) steht vorangestellt:
Meinem Prinzipal
dem Tod
zugeschrieben.
Großmächtigster Czar alles Fleisches,
Allezeit Vermindrer des Reichs,
Unergründlicher Nimmersatt in der
ganzen Natur!

Das Gedicht Leichenfantasie von Friedrich von Schiller wurde veröffentlicht im Jahr 1810 in Friedrich Schillers sämmtliche Werke. Zehnter Band. Enthält: Gedichte. Zweyter Theil. Wien, 1810. In Commission bey Anton Doll.. Es findet sich auf Seite 223f..

Digitalisat online

Weitere Veröffentlichungen:

Anthologie auf das Jahr 1782, gedrukt in der Buchdrukerei zu Tobolsko. [hrsg. v. Schiller, verlegt von Johann Benedict Metzler, Stuttgart], 1782, Seite 82

Digitalisat online

Zur Musik

Komponiert: 1812
Veröffentlichung (angezeigt): 1894
Originaltonart:  c - moll
Liedform: durchkomponiert
Aufnahmetonart:  d - moll
Schuberts Wohnort 1812

Schubert und Schiller sind sich nie begegnet, denn Schubert war erst 8 Jahre und 3 Monate alt, als Schiller starb. Dennoch prägten die Ideale Schillers auf vielfältige Weise Schuberts Entwicklung zu einem genialen Tonsetzer und inspirierten ihn immer wieder zu Vertonungen.
Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass Schubert fast 40 Texte von Schiller in Musik fasste. Dazu zählen die ersten uns bekannten Vertonungen ebenso wie einige der letzten, die er schrieb.
Zählt man alle Fragmente und Entwürfe zusammen, die heute laut Deutschverzeichnis bekannt sind, so kommt man auf nicht weniger als 77 Werke, die uns vorliegen. Die meisten entstanden in der Jugend Schuberts. Allein 66 Kompositionen in der Zeit zwischen 1811 und 1817. In dieser Zeit war Schubert zwischen 14 und 20 Jahre alt. Darunter finden sich so herrliche Stücke wie Gruppe aus dem Tartarus, Der Taucher, Sehnsucht, Die Götter Griechenlands oder Der Pilgrim.

Schubert schrieb am  31. März 1824 einen Brief an Leopold Kupelwieser, der zu dieser Zeit eine Reise nach Italien unternahm. Vielleicht entspringt das folgende Zitat aus diesem Brief der frühen Begeisterung Schuberts und seines Freundeskreises für Schillers Ideen zu ästhetischen Erziehung des Menschen.

Eine Schönheit soll den Menschen durch das ganze Leben begeistern – wahr ist es – doch soll der Schimmer dieser Begeisterung alles andere erhellen. 2.1

Die vorliegende Vertonung schrieb Schubert im Alter von 14 Jahren. Es ist eine der ersten Kompositionen, die uns heute noch als Manuskript vorliegen.

Quellenlage

Informationen zur Quellenlage (Manuskripte etc.) finden Sie hier: Thematisches Verzeichnis von Otto Erich Deutsch

Ort des Manuskripts: Wienbibliothek im Rathaus der Stadt Wien

Die Veröffentlichung besorgte 1894 Eusebius Mandyczewski in Alte Gesamtausgabe (Breitkopf&Härtel) in Leipzig | Verlagsnummer 1894

Zur Veröffentlichung

Deckblatt Alte Gesamtausgabe 4.1

Noten

Alte Gesamtausgabe, Serie  XX, Bd. 01 № 3
Neue Schubert-Ausgabe  IV, Bd. 04

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